Eingriffe, Hacks und Interventionen – die Brecht-Tage 2020

Vor wenigen Tagen machte der Künstler Simon Weckert eine künstlerische Intervention im Netz öffentlich, für die er verantwortlich zeichnete. In einem kleinem, quietschenden Bollerwagen zog er 99 angeschaltete und mit SIM-Karten ausgestattete Smartphones durch die Straßen Berlins. Das konnte er mitten auf der Straße tun; ganz in Ruhe und ungestört, da weit und breit ken Auto fuhr. Was zunächst wie ein technisch-esoterisches Ritual oder allenfalls wie ein Dérive klingt, ist beim genauen Hinschauen ein spektakuläres Ereignis: Weckert setzte im Handumdrehen Google Maps und damit den Berliner Stadtverkehr außer Kraft. Wie? Googles Stauprognosen basieren auf einer ziemlich banalen Annahme: Wenn sich viele Handys auf wenig Raum auf einer Straße befinden und sich nur sehr langsam fortbewegen – all das kann Google bekanntlich tracken – nimmt das Programm an, dort befände sich ein Stau. Diese Prognose wird unmittelbar in den Dienst eingespielt, was zur Folge hat, dass sich die Routenempfehlungen Googles ändern: Das Geo-Tool empfiehlt den Stau zu umfahren. Die Folge: Um Simon Weckert herum herrschte Ruhe – leere Straßen und ein quietschender Bollerwagen. Ein paar Radfahrer*innen und Spaziergänger*innen und hier und da ein fahrendes Auto, das offensichtlich nicht entlang der Google-Routen fuhr. Als würde die Zeit stillstehen.

Weckert Aktion ist künstlerisch ein großartiger Coup: Mit einfachsten Mitteln setzte er das größte, die Welt umspannende Netzwerk außer Kraft. Ein spektakulärer Eingriff in unserer digitale Lebenswelt, die an Arbeiten der letzten Jahre von Künstler*innen wie !Mediengruppe Bitnik, dem Peng Kollektiv oder Aram Bartholl erinnert. Viele Begriffe wurden erfunden, um solche künstlerischen Praktiken zu beschreiben: Ein Hack wäre wohl die passendste Beschreibung. Etwas militaristischer könnte man auch von einer Intervention sprechen.

Was Weckert mit seinen „Google Maps Hacks“ tut, hat in der Kunst und auch im Theater Tradition. Durch Eingriffe in bestehende Systeme befragen Künstler*innen seit mindestens 100 Jahren, wie die Welt organisiert ist, die uns umgibt: Wer gestaltet unsere Kommunikation, unsere Bewegung und die Räume, die wir tagtäglich nutzen? Wer erschafft und kontrolliert diese Systeme und inwiefern orientiert sich ihre Gestaltung an den Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen? Verstehen wir die Welt, die uns umgibt, überhaupt noch?

Am Montag, 10. Februar, beginnen die Brecht-Tage im Literaturforum im Brecht-Haus. Sie stehen dieses Jahr unter dem Titel „Brecht und das Theater der Intervention„. Bis  Freitag finden täglich Gespräche, Vorträge und Diskussionen statt, die mit Blick auf Brechts interventionistische Methodik nach dem Stellenwert künstlerischer Eingriffe im Kontext des Theaters und der Performance-Kunst fragen.

Am ersten Tag geht es um Brechts Texte zur Intervention, zu Gast sind Margarita Tsomou und Matthias Warstat, Moderation Christian Rakow.

Am Dienstag diskutieren Florian Malzacher und Bernd Stegemann die Frage „Wie kann Theater heute interventieren?“, moderiert von Christine Wahl.

Der Mittwoch wird eröffnet von der Wiener Künstler*innnengruppe WochenKlausur – Martina Reuter und Wolfgang Zinggl stellen einige ihrer Projekte vor. Im Anschluss diskutieren Martina Reuter, Bernd Ruping und Julius Heinicke fragen am Donnerstag, ob Kunst Missstände beheben kann. Moderiert wird der Abend von Marianne Streisand.
Aram Bartholl wird am 13.2. einen „Dead Drop“ in unmittelbarer Nähe des Brecht-Hauses installieren. Anschließend spreche ich mit Bartholl und Helgard Haug von Rimini Protokoll über die kleinen und vermeintlich unauffälligen Interventionen – wie etwa die von Simon Weckert.
Und am abschließenden Freitag gibt es nochmal einen weitgreifenden Überblick über diverse Vorschungsvorhaben zur Thematik, u.a. mit Eva Renvert, Anja Klöck, Michael Wehren, Matthias Rothe, Anja Quickert, Carolin Sibilak, Katharina Kolar und Claudia Hummel.
Hier finden sich sämtliche Informationen zum Programm, das ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen Christian Hippe, Volker Issbrücker und Marianne Streisand entwickelt habe.