Chinchillas, Smartphones und Udine

„Chinchilla Arschloch, waswas. Nachrichten aus dem Zwischenhirn“

Zur Zeit arbeite ich mal wieder mit Rimini Protokoll zusammen. Nach „100 Prozent Berlin“, „Sicherheitskonferenz“, „Situation Rooms“ und „Hausbesuch Europa“ ist es inzwischen das fünfte Stück, das ich dieses Mal gemeinsam mit Helgard Haug entwickele. Das Stück wird „Chinchilla Arschloch, waswas. Nachrichten aus dem Zwischenhirn“ heißen. Für Rimini-Verhältnisse ein ungewöhnlicher Titel. Das liegt an seinem Protagonisten: Christian Hempel. Christian sagt und tut häufig Dinge, die er so nicht will und nur unter großen Kraftanstrengungen halbwegs im Griff hat. Man kann sich das vorstellen wie der permanente Drang niesen oder husten zu müssen. Mit dem Unterschied, dass es sich bei Christian um so genannte Tics (nicht: Ticks mit K, das ist was anderes) handelt, die seine Gliedmaßen durchfahren. Oder eben Wörter und Sätze, die er unwillkürlich von sich gibt: Dazu gehört etwa auch „Chinchilla Arschloch, waswas“.  Tourette-Syndrom nennt man dieses Phänomen, das auf eine bis heute noch nicht gänzlich erklärbare Art und Weise die Abläufe im Gehirn anders anordnet. Fälschlicherweise oft als „Schimpferkrankung“ bekannt, wird Tourette gerade medial gerne spektakulär ausgeschlachtet. Auch Christian hat damit schon einige unangenehme Erfahrungen gemacht.

Wir wollen im Bockenheimer Depot in Frankfurt (Main) jetzt ein Stück mit ihm machen, wo es weniger um ihn geht, sondern vielmehr ums Theater. Denn, darauf kamen wir recht schnell: Es gibt wahrscheinlich kein erzählerisches Medium, das auf den ersten Blick weniger Tourette-geeignet ist als das Theater. Und das hat etwas damit zu tun, dass die Theaterbühne traditionell für Kontrolle steht. Über den eigenen Körper, die Sprache, die Situation und letztendlich sogar über das Publikum. Diese Idee der Selbstbeherrschung geht wie selbstverständlich von einem Körper- und Menschenbild aus, das die Möglichkeiten des unwillkürlichen Verhaltens suspendiert. Man kann mit Foucault auch von einem Disziplinierungsapparat sprechen, der Instinkte, Triebe, Affekte und jegliche weiteren Handlungen und Dränge, die unsere Körper auch ohne Tourette ständig entwickeln, unterdrückt. Warum ist das so? Zu welchen Absurditäten führt das in unserer alltäglichen Kommunikation? Und welche Rolle spielt das Blickregime des Publikums dabei?

Diese Normativität wollen wir mit dem Tourette aufbohren. Von der Bühne wird jetzt zurückgeguckt: Mit Christian Hempel, Benjamin Jürgens, Bijan Kaffenberger und Barbara Morgenstern. Premiere ist am 11. April 2019 im Bockenheimer Depot in Frankfurt (Main).

Konzept, Text & Regie: Helgard Haug
Mit: Christian Hempel, Benjamin Jürgens, Bijan Kaffenberger, Barbara Morgenstern
Komposition & Musik: Barbara Morgenstern
Bühne: Mascha Mazur
Video: Marc Jungreithmeier
Dramaturgie: Cornelius Puschke
Recherche & Künstlerische Mitarbeit: Meret Kiderlen

Ach ja, als Vorlauf zum Stück gibt es jetzt bereits ein Hörspiel, produziert vom WDR, hier (noch) zu hören.

 

Smartphone-Messenger-Workshop an der Theaterakademie Hamburg

Im Herbst vergangenen Jahres habe ich mit Dramaturgie-Studierenden der Theaterakademie Hamburg Smartphone-Performances erarbeitet. Wir haben dafür eine ähnliche Versuchsanordnung wie bei meinem Projekt „/me followed by an action“ genutzt, wo es darum geht Smartphone-Messenger wie WhatsApp oder Telegram als erzählerische Medien für Performances zu nutzen. Entstanden sind einige schöne Experimente, wo die Studierenden mit recht einfachen dramaturgischen Handgriffen Situationen geschaffen haben, die mit dem Mitteln des Theaters Smartphone-Technologien und unsere tagtägliches Kommunikationsverhalten befragten.

 

Vortrag in Udine: „Theatre is just another word for participation“

Anfang Dezember durfte ich auf Einladung des Teatro Palamostre das wunderschöne Udine in Nord-Italien besuchen. Dort fand das mehrtägige Symposium „C’è posto per tutti“ zu Fragen der Partizipation im Theater statt und ich wurde angefragt einige Einblicke in die Arbeiten von Rimini Protokoll zu geben. IMG_6365Ich halte es mit dem Begriff „Partizipation“ ja ähnlich wie mit der vielzitierten „Immersion“: Im Grunde sagen diese Wörter nichts Neues aus. Es gibt keine Kunst ohne Partizipation und auch keine ohne Immersion, dem sprichwörtlichen Eintauchen. Jeder Theaterbesuch ist auch in dem dunkelsten Zuschauerraum letztendlich irgendwie partizipativ. Aber, und hier wird’s weniger banal: Diese Begriffe helfen uns den Blick auf ästhetische und politische Entwicklungen zu werfen. Die Möglichkeiten eines agierenden, wachen und direkter beteiligten Publikums haben sich durch die so genannten partizipativen Künste enorm entwickelt. Das ist übrigens weder gut noch schlecht, fördernswert oder abschaffenswert, sondern schlicht und einfach eine recht offensichtliche Entwicklung der Künste, die sich schon über viele Jahrzehnte zurückverfolgen lässt. Deswegen erlaubte ich mir auch den etwas flapsigen Titel des Vortrags (s.o.), der einerseits darauf hinweist, dass es kein Theater ohne Partizipation gibt und andererseits anhand von Rimini Protokolls Arbeit einen Ausblick darauf gibt, welche künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten entstanden sind.