Netzdramaturgien

Dank der Förderung vom Fonds Darstellende Künste für „If Then Else“ kann ich einige Schritte mit diesem Projekt gehen, um es in nicht allzu ferner Zukunft zur Realisierung zu bringen. Konkret geht es aktuell darum die inhaltliche Idee des Projekts in ein Raumkonzept zu übertragen. Die Abfolge If-Then-Else (dt.: Wenn-Dann-Sonst) ist dafür maßgeblich und strukturgebend, denn sie beschreibt die syntaktische Einheit eines Algorithmus’. Jeder Code, der unsere digitalen Leben organisiert, basiert auf der Grundlage dieses Modells, das zukünftige Ereignisse in Wenn-Dann-Szenarien vorausdenkt. Algorithmen und damit auch Codes haben die grundlegende Eigenschaft, dass sie die Zukunft vermessen. Auf spekulative Art und Weise kalkulieren sie jedes mögliche relevante Ereignis und machen es errechenbar. Durch unbegrenzt lang aufeinanderfolgende Wenn-Dann-Szenarien, inklusive zahlloser, einkalkulierter Abweichungen (else), lässt sich auf der Grundlage von Daten menschliches Verhalten bis ins kleinste Detail errechnen und vermessen. Mit Zunahme der Digitalisierung unserer Lebenswelten wird die menschliche Zukunft so zur maschinellen Gegenwart – was morgen passieren wird, wissen nicht wir irgendwann, sondern die Algorithmen schon jetzt. Diese Entwicklungen schlagen sich in diversen künstlerischen Praxen nieder, die ich versuche in diesem Projekt zu bündeln.

Der Kultur- und Medienwissenschaftler Felix Stalder beschreibt diese „Algorithmizität“ unserer Zeit in seinem Buch „Kultur der Digitalität“ in einem Vokabular, was sich interessanterweise als gut übertragbar auf die Künste und damit für den Kontext dieses Projekts erweist:

„Ein Algorithmus ist eine Handlungsanleitung, wie mittels einer endlichen Anzahl von Schritten ein bestehender Output überführt werden kann: Mithilfe von Algorithmen werden vordefinierte Probleme gelöst. Damit eine Handlungsanleitung zum Algorithmus wird, muss sie in dreifacher Hinsicht determiniert sein. Erstens müssen die Schritte, einzeln und in ihrer Gesamtheit, eindeutig und vollständig beschrieben sein. Dazu ist in der Regel eine formale Sprache notwendig, etwa die Mathematik oder eine Programmiersprache, um die für natürliche Sprachen charakteristischen Anweisungen ohne Interpretation angewandt werden können. Zweitens müssen die einzelnen Schritte zusammen praktisch durchführbar sein. Deshalb ist jeder Algorithmus auf den Kontext seiner Realisierung bezogen. Verändert sich sich dieser, verändert sich auch, welche Handlungsabläufe als Algorithmen formalisiert werden können, und damit, in welcher Weise Algorithmen an der Konstitution der Welt teilhaben. Drittens muss eine Handlungsanweisung mechanisch ausführbar sein, damit sie unter unveränderten Voraussetzungen immer dasselbe Resultat zeitigt.“ (Felix Stalder: Kultur der Digitalität, S. 167 f., Berlin 2016)

In der aktuellen Vorstudienphase arbeite ich mit dem Architekten Markus Miessen (Studio Miessen) zusammen, um ein räumliches Konzept für das Programm und die Auftragsarbeiten zu entwickeln. Markus und ich haben uns während meiner Zeit im Martin-Gropius-Bau kennengelernt – er entwickelte dort gemeinsam mit Heike Schuppelius die Szenographie für Omer Fasts Ausstellung „Reden ist nicht immer die Lösung“, die Teil des Immersion-Programms war, für das ich gearbeitet habe. Es ist eine fruchtbare und inspirierende Kollaboration mit ihm und seinen Mitarbeiter*innen. Ich bin gespannt, wohin uns die Reise noch führt.

 

Parallel und durchaus passend dazu gebe ich ab Oktober ein Seminar am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin mit dem Titel „Netzdramaturgien“. Leitender Gedanke des Kurses ist, dass sich das, was wir in all seinen unterschiedlichen Bedeutungen und Anwendungen Dramaturgie nennen, sich in Zeiten des Internets fundamental verändert. Hier ein Auszug aus dem Seminartext:

„Die Entstehung neuer Werkformen, die Diskurse aktueller Dramatik und die zunehmende Technisierung der Kunsterfahrung sind eng gekoppelt an die Entwicklungen des Internets. Dennoch wird vor allem das Theater gerne zu einem Ort der Offline-Kultur stilisiert – das Netz bleibt draußen. Flugmodus an, Vorhang auf. Ist das die Zukunft des Theaters? Möglicherweise nicht, denn die Veränderungen sind offensichtlich. Das Netz kommt auf die Bühne. Neue Techniken werden Bestandteil experimenteller Werkformen. Und nicht zuletzt gerät das Verhältnis von Bühne und Zuschauer*innenraum beträchtlich ins Wanken. Eine kommunikative Neuordnung scheint im Gange.“

 

Desweiteren haben sich über den Sommer einige weitere schöne Begegnungen, Zusammenarbeiten und spannende Projektplanungen ergeben, über die ich bei Zeiten hier mal mehr schreiben werde.

 

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