Nach einigen Reisetagen bin ich wieder zurück in Berlin. Ich besuchte das immer wieder tolle Brüsseler Kunstenfestivaldesarts, traf viele nette Kolleg*innen, die in Belgien leben und arbeiten und sah natürlich viel Theater. Den markantesten Eindruck hinterließ bei mir Claude Regys düster-archaisches Theaterritual „Rêve et Folie“, – basierend auf Georg Trakls Gedicht „Traum und Umnachtung“ – das in der kommenden Spielzeit auch in Berlin an der Volksbühne zu sehen sein wird. Man sieht ja nicht häufig Theater von Menschen, die, wie Regy, bereits 94 Jahre alt sind. Und ich muss sagen: Auf eine tiefgreifende Art und Weise atmet diese Inszenierung den Geist des Alters, der Erfahrung und, ja, auch des Tods. Trotz meiner rudimentären Französisch-Kenntnisse verließ ich das Theater nachhaltig beeindruckt mit einem Kloß im Hals.
Von Brüssel ging es dann weiter zur Eröffnung von Theater der Welt in Hamburg, wo ich eine von der Theaterakademie Hamburg veranstaltete Masterclass mit Studierenden der Fächer Dramaturgie und Musiktheaterregie ko-leitete. Das war eine schöne Rückkehr, zumal ich an der Theaterakademie vor inzwischen recht langer Zeit meine ersten Dramaturgie-Erfahrungen sammeln durfte. Jetzt an eine alte Wirkungsstätte aus Studienzeiten zurück zu kehren, freute mich also sehr – auch wenn die Akademie aus den fantastischen Zeisehallen in der Friedensallee inzwischen leider ausziehen musste.
Außerdem positiv in Erinnerung geblieben sind mir Achille Mbembes Auftaktrede für das Festival sowie die Weltpremiere des ersten – im weitesten Sinne – Theaterstücks des Bildenden Künstlers Wael Shawky. Weltweite Berühmtheit erlangte dieser als er mit „Cabaret Crusades“ ein arabisches Counter-Narrative zu den aus christlicher Perspektive in die Geschichtsbücher eingegangenen Kreuzzügen filmisch mit Puppen inszenierte. Bereits in dieser Arbeit zeigte sich, wie klug, genau und aufmerksam Shawky der frühkolonialen, westlichen Geschichtsschreibung Narrative des Nahen Ostens entgegensetzt. Ähnlich war sein Verfahren auch für seine neue Arbeit „The Song of Roland“. Das Rolandslied, ein altfranzösischer Gesang, berichtet davon, wie die Christen unter Führung Karls des Großen im 8. Jahrhundert die islamischen Sarazenen aus Europa vertrieben bzw. sie vernichteten. Das Rolandslied bildet historisch gesehen sozusagen den Prolog zu „Cabaret Crusades“. Mit Musikern aus den Emiraten übersetzt Shawky das mittelalterliche Rolandslied nun nicht nur ins Arabische, sondern transportiert es auch in einen völlig anderen klanglichen Kontext und schafft so einen anderen kulturellen Resonanzraum: Fidjeri, so heißt die hier von 15 Männern gesungene, geklatschte und getrommelte Musik, die aus dem arabischen Golf stammt und traditionell von Perlenfischern interpretiert wurde. Es ist ein kluger Kunstgriff Shawkys das Rolandslied, das vor allem in patriotischen Kreisen Frankreichs bekannt ist, musikalisch-kulturell zu dezentralisieren und das westliche Narrativ qua Musik umzuschreiben. Er schafft einen neuen Blick auf das christliche Europa und den Islam, indem er deren jahrhundertelange Verbindungen betont. Es ist nur zu hoffen, dass diese konzertante Performance noch viele Menschen sehen können.
Abschließend noch ein Veranstaltungstipp in eigener Sache: Am 21. + 22.6. läuft im Theaterdiscounter „Maidorf“, eine Arbeit, die auf einer Recherche basiert, die ich gemeinsam mit Christian Winkler vor einigen Jahren gemacht habe. Aus den Recherchen ist ein Stück über ein goldenes, prunkvolles, leerstehendes Haus und seinen Besitzer geworden, das in einer Alpenprovinz namens Maidorf (oder so ähnlich) steht. Die Jugendstilvilla dient der Dorfgemeinschaft sich ihrer Identität zu vergewissern, denn mit dem Villen-Besitzer haben sie nichts zu tun. Er sei ein „Individualist“, ein Eigenbrötler, und sei somit nicht Teil der Gemeinschaft. Diese mikroskopische Langzeitbeobachtung mündete in einer Performance, die vor einem Jahr ihre Premiere hatte. Auf der Bühne stehen neben Kenneth Huber unter anderem Laura Landergott von „Ja, Panik“ und die Bildende Künstlerin Marlene Hausegger. –> Theaterdiscounter, Klosterstraße 44 / D–10179 Berlin / info at theaterdiscounter dot de / +49 (30) 28 09 30 62