Interview mit Omer Fast // Programmveröffentlichung Immersion

Die Berliner Festspiele haben letzte Woche das Programm für den kommenden Sommer und Herbst veröffentlicht, an dem ich teilweise noch mitgearbeitet habe. Vor allem die Eröffnung des „Nationaltheater Reinickendorf“ von Vegard Vinge und Ida Müller im Juli wird spektakulär werden. Sofern dessen Türen dann auch aufgehen… Bei aller Vorfreude: Ich glaube es erst, wenn ich drin bin.

Mit der Programmveröffentlichung erschien auch ein Magazin, das eine Brücke zwischen den Projekten aus dem Herbst 2016 und dem Sommer 2017 schlägt. Deswegen habe ich mit Omer Fast ein Interview geführt, in dem ich mit ihm retrospektiv die Entstehung seiner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau betrachte und mit ihm über den Zusammenhang seiner Werke zu Immersion spreche. Hier das Interview:

 

REALITÄTSPRODUKTIONEN

Cornelius Puschke: Am 8.11.2016 gewannen die Republikaner die Wahl in den U.S.A. und machten Donald Trump im vergangenen Januar zum Präsidenten. Deine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau eröffnete am 17.11.2016, also neun Tage nach der Wahl. Das erste Video darin ist „CNN Concatenated“ aus dem Jahr 2002 – eine Arbeit, die sich sehr konkret mit u.s.-amerikanischer Politik und deren medialer Berichterstattung auseinandersetzt. Wie hast du als U.S.-Bürger diesen politischen Winter erlebt? Und wie wirkte er sich auf dein künstlerisches Schaffen aus?

Omer Fast: Für mich persönlich war die Wahl natürlich ein Schock. Als Person und als Künstler habe ich das noch nicht verdaut. Seitdem ich Videos mache und Geschichten erzähle, gibt es in meinen Arbeiten immer eine Art Echo oder einen Hall des Sozialen, wenn man so will. In „CNN Concatenated“ geht es um Ängste und einen Druck, der plötzlich an die Oberfläche kommt und medialisiert wird. Da findet eine Verschmelzung zwischen dem Ich und dem Medialisierten statt. Die Arbeit entstand zwischen 2000 und 2002, dazwischen lag der 11. September 2001, und natörlich ist sie von diesem Ereignis und dessen Auswirkungen geprägt. Das Ich, das in dieser Arbeit spricht, ist bestimmt von einem Bruch in der Geschichte. Und jetzt ist wieder alles auf Null. Man bekommt das Gefühl, dass man in der Geschichte erneut gefangen ist. Man ist plötzlich hilflos, gelähmt oder erstarrt und muss sich neu orientieren. Das ist übrigens oft die Situation, der meine Geschichten und Charaktere begegnen. Man hat das Gefühl, dass die Medien in ihrer Aufgabe komplett gescheitert sind. Ein Riesenspalt hat sich zwischen der Realität und deren Erklärung entwickelt. Wir erinnern uns ja alle noch daran, wie George W. Bush den Krieg vorbereitet hat und welche Rolle die Medien dabei gespielt haben. Meinem Eindruck nach sind die Medien jetzt erneut gescheitert. Die Frustration über diese Entwicklung funktioniert also nach wie vor als Auslöser für meine Arbeit.

CP: Wenn ich dich richtig verstehe, sagst du also, dass es nicht nur das politische Scheitern durch die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten gibt, sondern es genauso ein journalistisches oder mediales Scheitern gibt? Das würde bedeuten, dass die Problematik viel tiefer liegt und über diese Phänomene hinausgeht. Wenn das so ist, was sind diese Probleme?

OF: Ich würde die Medien von der Politik nicht trennen. Die politische Sphäre beinhaltet unterschiedliche Akteure und unter denen sind natürlich auch die Medien. Das ist eine Rolle, die neu konfiguriert werden muss. Das haben wir mit der Wahl von Donald Trump gelernt. Ich bin am Tag nach der Wahl aufgewacht und dachte mir, dass alle Medien, die ich zu meiner politischen Information als U.S.-Bürger konsumiere, falsch waren. Und zwar nicht, weil sie Fake News sind, sondern weil sie vor der Wahl in eine völlig andere Richtung gedeutet haben. Ich bin vor der Wahl selig mit meinen Medien-Quellen eingeschlafen, und die Wirklichkeit ist inzwischen woanders hingegangen. Plötzlich steht man quasi mit heruntergelassener Hose da. Die Frage ist also, wie wir als Künstler und Bürger diese Sphäre der Öffentlichkeit neu konfigurieren.

CP: Ich frage deswegen so danach, weil ich beim ersten Besuch deiner Ausstellung in Berlin die Erfahrung machte, dass deine Arbeiten, die ich zum großen Teil bereits gut kannte, durch das politische Tagesgeschehen einen ganz anderen Resonanzraum erhalten haben. Man musste sie nun aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Meinem Eindruck nach steckt eine konzeptionelle Entscheidung und ein politisches Statement dahinter, eine Arbeit wie „CNN Concatenated“ in so einem Zusammenhang gleich an den Anfang zu setzen.

OF: Sie ist die erste Arbeit, weil sie einen Kontext anbietet und ein Ich-Narrativ beinhaltet. Es geht also einerseits um eine Ansprache an den TV-Konsumenten. Und andererseits um so etwas wie einen medialen Fluss. In dieser Arbeit versuche ich im wahrsten Sinne des Wortes die Medien neu zu konfigurieren. Man fängt mit dem Klischee-TV-Bild der Nachrichten an, das deutlich manipuliert wurde, um einen neuen Bericht und eine alternative Subjektivität zu vermitteln.

CP: Deine Ausstellung »Reden ist nicht immer die Lösung« hat ja eine gewisse Evolution. Sie baut auf Vorgängern auf, die du zuvor in Paris und Newcastle schon gezeigt hast. Zumindest in Newcastle schien es mir so, dass du dort nochmal einen anderen Fokus hattest. Mir ist die Dunkelheit der Räume, dieses Kino-Schwarz, das du teilweise auch im Martin-Gropius-Bau inszeniert hast, stark in Erinnerung geblieben. In Newcastle war es bisweilen so dunkel, dass ich Schwierigkeiten hatte mich zu orientieren. Die einzige Orientierungshilfe, die ich hatte, waren im wahrsten Sinne des Wortes die Filme bzw. das Licht ihrer Projektionen. Nun hast du ein neues Raumkonzept erarbeitet, das nicht mehr durchgehend in dieses uniforme Schwarz getaucht ist, son-dern durch die Warteräume vielmehr szenografische Brüche aufweist. Wie kam es zu den Entscheidungen für diese Warteräume – Arztpraxis, Flughafen, Ausländerbehörde?

OF: Das hat viel mit der Architektur des Hauses zu tun. Als ich die Räume das erste Mal mit Gereon Sievernich, dem Direktor des Martin-Gropius-Bau, besuchte, hatte ich das Gefühl von einem diplomatischen Empfang. Wir sind durch die Räume marschiert und immer wieder ging eine große Tür mit einem weiteren ähnlichen Raum auf. Das war wie der Versuch, den Speisewagen im ICE zu finden. Die Anordnung der Räume ist sehr linear. But my work is anything but linear! Die konkrete und letztendliche Inspiration hatte ich dann im September in der Ausländerbehörde, wo ich beim nicht enden wollenden Warten gemerkt habe, dass dies die Situationen sind, die mich für die Ausstellung interessieren, genauer gesagt, wie man durch die Anordnung von Zeit und Raum gelähmt wird. Kurz danach ist die Flughafen-Lounge dazu gekommen und auch der Warteraum vom Arzt.

CP: Bei einem längeren Aufenthalt in der Ausstellung fiel mir auf, wie unterschiedlich die Verhaltens- und Bewegungsregeln dieser Warteräume im Vergleich zu den schwarzen Ausstellungsräumen sind. Obwohl ja beide künstliche Ausstellungsszenarien sind, greifen die Verhaltensweisen der Warteräume sofort wie im Alltag – die Leute blicken sich um, setzen sich rasch hin und gucken sich nicht an. Diese Verwirrung war interessant zu beobachten. Und sie unterbricht natürlich das Passagenhafte und Fließende dieser Räume. Ich musste dabei an Marc Augés Theorie der Nicht-Orte denken, über die er sinngemäß schrieb, dass sie keine Individualität ermöglichen und keine sozialen Beziehungen schaffen. Nach Augé bringen Nicht-Orte eine kommunikative Verwahrlosung hervor. Spielten solche Überlegungen für dich eine Rolle?

OF: Diese Warteräume sind in der Regel nicht produktiv und was sie eigentlich forcieren, ist ein Zustand des passiven Wartens. Sie funktionieren, wie du sagst, außerhalb einer Vorstellung von produktiver Beschäftigung. Es findet eine gezwungene Gleichstellung zwischen Raum und Zeit statt und das Individuum steckt mittendrin fest. Und das ist eine interessante Situation. Man ist natürlich mit Langeweile konfrontiert, aber inzwischen hat man Smartphones, wie transitional objects, um mit der Bedrückung besser klarzukommen. Ich wollte diese Erfahrung außerhalb der Zeit räumlich in meiner Ausstellung darstellen, weil es in meinen Arbeiten oft um Figuren geht, deren normale Vorstellung von Zeit komplett unterbrochen wurde. Die Räume sind wie eine Inszenierung dieses Problems.

CP: Die Räume funktionieren also wie Zeitkapseln und schaffen ständige Wiederholungen. Ja, das korrespondiert sehr mit deinen Arbeiten. Über die Jahre haben sich deine Werke allerdings auch auffällig gewandelt und entwickelt. Während du anfänglich noch viel mit den Mitteln der Montage von dokumentarischem Material gearbeitet hast, wie bei „CNN Concatenated“, hast du in der Folge eine immer größere Affinität zur Fiktion entwickelt. In „The Casting“ etwa inszeniertest du Reenactments und mit der Zeit zeigte sich eine immer markantere Autorenschaft. So basieren „August“ und „Remainder“ auf einem fiktionalen Kino-Drehbuch. Es gibt allerdings einen roten Faden, den ich in all deinen Werken wieder erkenne und der bei »Reden ist nicht immer die Lösung« auch im Ausstellungskatalog sehr deutlich geworden ist, nämlich die Art und Weise dich selbst zu inszenierst bzw. deine Rolle als Künstler zu thematisieren. Es gibt in nahezu allen Arbeiten ein Alter Ego, einen Künstler, einen Autor, einen Regisseur, einen Interviewer oder, wenn man „Remainder“ noch dazu nimmt, einen Schöpfer. Wieso finden sich diese Figuren so markant in deinen Werken wieder?

OF: Ich würde dir da so nicht zustimmen. Es gibt Arbeiten wie zum Beispiel „Spring“ und „Continuity“, wo dieser Doppelgängereffekt nicht so sichtbar ist. Obwohl … – wenn man die Figuren der Eltern in den beiden Filmen nimmt, könnte man schon sagen, dass es eine Art künstlerische Betätigung ist, den Alltag obsessiv rekreieren zu wollen. Ich schaffe künstliche Situationen, die ich versuche als Modelle für das, was wir Wirklichkeit nennen, zu benutzen. Wenn ich die Koordinaten habe, brauche ich eine Figur, die meine Funktion übernimmt, damit das Modell vollständig funktioniert. Dieser Doppelgänger teilt natürlich gewisse Züge oder Eigenschaften mit mir und dennoch ist er, manchmal auch sie, eine Figur, die eine Selbstreflexion oder immanente Kritik ermöglicht. Sie schafft mir die notwendige Distanz, über Bedingungen zu sprechen, unter denen eine Situation, zum Beispiel die Entstehung einer künstlerischen Arbeit, möglich ist. So kann ich, wie in „5,000 Feet is the Best“, einen Fragen stellenden Charakter erschaffen, der eine gewisse Ambivalenz hat. Man weiß nicht, ob er Künstler, Interviewer, Journalist, Therapeut, Richter oder Arzt ist. Er hat unterschiedliche Funktionen, die immer was mit Macht zu tun haben. Es ist sehr wichtig, dass ich mich dort positioniere, weil es in meinen Stories oft um Machtverhältnisse und eine Dimension von Ethik geht.

CP: Ich habe es vermutet, dass du das so siehst. Diese Selbstreflexion gibt mir beim Sehen deiner Filme immer so eine Art Ruhe …

OF: Ruhe?

CP: Ja, weil ich sehe, dass derjenige, der diese Geschichten konstruiert und diese weitgreifenden, oft tragischen Erlebnisse von Menschen erzählt, sich selber in seinem Material und sozusagen als Schöpfer dieser Welten in seiner Subjektivität kritisch reflektiert und sie nicht als objektiv und gottgegeben darstellt. Du schreibst dich immer in dein Material ein und machst es dann erkennbar. Dies gibt einem als Betrachter die Möglich- keit einen Schritt weiter zu blicken, einen Reflektionsschritt mehr zu machen.

OF: Das ist wahrscheinlich das erste Mal, dass jemand meine Arbeiten als beruhigend bezeichnet.

CP: Ja, mich beunruhigt es, wenn ich diese Perspektive nicht habe oder erkenne. Dann stelle ich mir die Frage, wer das geschaffen hat, mit welcher Perspektive, in welcher Situation. Das wird so explizit reflektiert und nicht außen vor gelassen. Das finde ich beruhigend. An „5,000 Feet is the Best“ interessiert mich aber noch etwas anderes. Deine Ausstellung ist ja Bestandteil der Programmreihe „Immersion“. Das ist ein Begriff, der in Folge der Renaissance der Virtual Reality und durch neue, hybride künstlerische Formen Konjunktur hat. In „5,000 Feet is the Best“ geht es auch um Immersion, nämlich um Drohnenpiloten, die durch Bildschirme oder immersive Konsolen Raketen am anderen Ende der Welt steuern. Sie tauchen mit technischen Hilfsmitteln in eine fremde Realität ein und werden dort Akteure. Der Film behandelt die psychischen Folgen dieser Kriegsführung und den Alltag der jeweils sehr unterschiedlich betroffenen Menschen. Wie stehst du zu dem Begriff Immersion und welche Qualität birgt er für dich?

OF: Für mich hat Immersion viel mit Verführung zu tun und gleichzeitig mit der Notwendigkeit außerhalb zu stehen. Mir sind meine filmischen Mittel immer sehr bewusst, also wie man Leute in etwas hineinsaugen kann. Und die Mittel sind immer suspekt. Ich finde es wichtig, innerhalb der Immersion Brüche oder kleine Löcher zu schaffen, durch die man durchlinsen kann, um nicht zu vergessen, dass wir uns immer gegenüber einer Darstellung befinden. Das ist vielleicht nicht unbedingt eine interessante Konfigurierung der Immersion, aber für mich ist diese kritische Dimension wichtig.

CP: Der Grund, warum ich deine Arbeiten im Zusammenhang mit Immersion besonders interessant finde, ist, dass sie nicht nur den sprich-wörtlichen Eintauch-, sondern auch den Auf-tauchmoment schaffen. Man kann ja nicht immer eingetaucht leben, sondern man muss auftauchen, um zu atmen – um in der Metapher zu bleiben. Diese Bewegung finde ich in deiner Ausstellung und in deinen Arbeiten generell sehr markant. Beispielsweise den Bruch des passagenhaften Erlebens des Museumsraums, das du an anderer Stelle mit Shopping Mall- oder Basar-Erfahrungen verglichen hast. Einerseits schaffst du fast autoritäre Eintauch-Momente und andererseits mit der gleichen Kraft so etwas wie dramaturgische Ausstoßmomente – Emersion könnte man dazu sagen. Passt das zu der Art und Weise, wie du es auch denkst – kein Eintauchen ohne Auftauchen?

OF: Ja, da stimme ich dir zu. Obwohl die Phantasie des Eintauchens immer viel interessanter oder verführerischer ist.

CP: Verführerischer, ja – aber vielleicht auch unpolitischer?

OF: Das kommt darauf an, was man entdeckt!